„Vieles, was unsere deutschen Nachrichten vermitteln, hat mit dem Alltag in Israel überhaupt nichts zu tun“, sagt Völkel. Geschehnisse in den Palästinensergebieten und in Israel würden bunt vermischt. „Es wird der Eindruck erweckt, dass man in Israel nicht sicher leben kann. Im Gegenzug kommen in Deutschland natürlich nicht ständig Juden oder jüdische Bauten zu Schaden – so wie es den Fernsehzuschauern in Israel glaubhaft gemacht werden soll.“
Alexander Völkel erinnert sich: „Ich habe mich 2000 gerade in Jerusalem aufgehalten, als ein deutscher Privatsender einen Bericht über „Jerusalem – eine Stadt in Angst“ ausstrahlte. Der Reporter behauptete, dass die Menschen nur noch mit Atemmasken durch die Stadt liefen. Ich war vor Ort – an den Stellen, über die berichtet wurde. Es stimmte nicht.“
Deshalb will der „Länderkreis Israel“ Missverständnisse und Vorurteile abbauen. „Wir wollen nichts schön reden. Wir wollen aufklären. Wir wollen informieren. Wir wollen für die Situation in Israel sensibilisieren. Und wir wollen auch kritisieren. Aber das geht nur, wenn wir selbst gut informiert sind und den Menschen die Möglichkeit geben, sich selbst ein Bild zu machen“, sagt Völkel.
Aus diesem Grund bietet der Länderkreis in Dortmund regelmäßig Tagungen, Vorträge, Kulturevents und Veranstaltungen an, bei denen nicht nur Informationen über den Staat Israel und seine besondere Situation vermittelt werden, sondern natürlich auch Deutschlands dunkelste Geschichte – der Holocaust – thematisiert wird. Bei dieser Arbeit ist die Vernetzung mit anderen Akteuren in der Stadtgesellschaft wichtig: Daher kooperiert der Länderkreis je nach Thema mit der jüdischen Kultusgemeinde, der VHS oder der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und macht Gemeinschaftsveranstaltungen an unterschiedlichen Orten. „Und wir wollen uns noch mehr vernetzen“, sagt Völkel. Er wünscht sich auch einen noch stärkeren inhaltlichen Austausch mit Vertretern Palästinas oder aus dem arabischen Raum - und mit deren Landleuten und Unterstützern in Dortmund. Denn nur gemeinsam können antisemitische Vorurteile und israelfeindliche Äußerungen wirkungsvoll bekämpft werden.
Doch besonders am Herzen liegt Alexander Völkel der gegenseitige Besuch von Schulklassen oder Jugendlichen, die im jeweiligen Gastland – Israel oder Deutschland - bei Gasteltern untergebracht werden. „Nur wenn auch die Jugend gut informiert ist, ist garantiert, dass die gemeinsame und unendlich grausame Vergangenheit nie in Vergessenheit gerät“, sagt Völkel. „Hier geht es nicht um Schuld und um die Aufarbeitung von Schuld.“ Gerade nicht bei jungen Menschen, in deren Familien möglicherweise noch nicht einmal mehr die Großeltern die Nazi-Gräuel erlebt haben. Ihm sind allerdings die „Schlussstrichdebatten“ („Irgendwann muss doch mal Schluss sein…“) ein Graus. Und es gehe auch nicht um die Frage einer Existenzberechtigung des Staates Israel. Nein, es gehe um Verantwortung. „Wir müssen dafür sorgen, dass sich so eine Katastrophe niemals wiederholt“, sagt Alexander Völkel.
Die Jugendlichen werden deshalb auch nicht einfach ins Flugzeug gesetzt. Der Länderkreis organisiert mehrere informative Vorbereitungstreffen und auch immer eine Begleitung vor Ort. „Deutsche werden heute in Israel meist sehr freundlich empfangen. Dennoch wollen wir dafür sorgen, dass keiner ins Fettnäpfchen tritt, und dass sich alle an bestimmte Regeln halten.“ Auch Fragen der Jugendlichen und deren Eltern sollen im Vorfeld ausreichend beantwortet werden. Etwa die immer wiederkehrende Frage zur Sicherheit. „Es gab und es gibt keine Reisewarnung für Israel“, versichert Völkel. Touristen seien in Israel nicht gefährdet. Sonst würde der Länderkreis auf keinen Fall zusammen mit der Auslandsgesellschaft einen derartigen Jugendaustausch anbieten. Aber auch Alltagsfragen wie die Rolle als Gastgeber für einen Israeli (Stichwort koscheres Essen) bewegt die deutschen Gasteltern.
Ganz aktuell läuft im November 2014 wieder ein solcher Austausch. Das Ergebnis wird sicher wieder das gleiche sein wie schon bei anderen Begegnungen zwischen Israelis und Deutschen: Die Jugendlichen sind positiv überrascht – und merken, dass ihre Vorstellungen über Land und Leute so gar nicht zutreffen. Völkel: „Und sie merken, dass sie gleiche Hobbys haben, gleiche Interessen und viele Gemeinsamkeiten.“ Lediglich der jüdische Humor, der sei ausgeprägter, behauptet Völkel. Zumindest dieses Vorurteil scheint also zu stimmen.
Zur Person:
Alexander Völkel (39) selbst hat sich schon als Jugendlicher für die deutsche Geschichte interessiert. Während seines Studiums kam der Journalist selbst mit Besuchern aus Israel in Kontakt. „Danach haben mich das Land und seine Geschichte nicht mehr losgelassen.“ 22 Mal war er seitdem in Israel und auch in den Nachbarregionen. 2003 übernahm er – zusammen mit Swantje Neumann und Claudia Steinbach (Geschäftsstelle Israel/NRW) – ehrenamtlich die Leitung des Länderkreises in der Auslandsgesellschaft NRW. Danach intensivierte er vor allem die Kontakte zu Dortmunds israelischer Partnerstadt Netanya, vor allem den Schüler- und Jugendaustausch.
Der Länderkreis Israel in der Auslandsgesellschaft NRW e.V. wurde 1991 von Erich Rüttel gegründet. Heutige Leitung: Swantje Neumann, Claudia Steinbach und Alexander Völkel.